Schlüsselwörter: Starkwind, Reff, (Segel-)Trimm, Twist, Churn, Holepunkt, Baum-Niederholer, Achterstag, Unterliekstrecker.
Viele erinnern sich im Herbst als Kinder Drachen steigen gelassen zu haben, denn der Wind ist häufiger und intensiver.
Im Erwachsenenalter auf dem Schiff sind die Flächen im Wind deutlich grösser – und damit auch die Kräfte; wir müssen das Handwerk kennen, wie diese Kräfte zu beherrschen sind (um nicht selbst beherrscht zu werden…).
Das Wichtigste bei Starkwind ist eine Grundstellung zu kennen, die man sicher fahren kann, einen Kurs mit seinem Trimm, um ohne Stress das weitere Vorgehen zu planen. Insbesondere mit Kindern oder Gästen bestimmt deren Sicherheitsgefühl, ob Freude oder Angst in Erinnerung bleibt. Die Worte “Seht, wir können die Situation jederzeit beruhigen. Einfach sagen, wenn es euch zu viel wird.” wirken.
Die Grundstellung, der am einfachsten zu fahren Kurs ist halber Wind! Frischt der Wind auf, einfach die Segel etwas fieren (d. h. die Schoten lockern). Während die Fock grundsätzlich auf Kurs einzustellen ist, lässt sich die Grossschot weit, weit ausfahren, bis fast 90 Grad. Man hat also auf diesem Kurs die maximale Flexibilität, um die wirksame Segelfälche den Verhältnissen anzupassen. Regattierer führen die Grossschot übrigens in der Hand, um die Krängung des Schiffs jederzeit optimal zu halten. Bei böigem Wind ist das allen zu empfehlen. Die Grossschott kann gut einem Gast delegiert werden, so dass sie bzw. er selber die Situation kontrolliert. Prima an diesem Kurs ist auch, dass man sich Zeit nehmen kann: Man verliert oder gewinnt nicht Höhe, man bleibt relativ zur Windrichtung am Ort. Mit ein paar Wenden kann man die Verweildauer auf diesem Kurs folglich fast beliebig ausdehnen.
Am meisten krängt das Schiff am Wind, weil zum scheinbaren Wind Komponenten der Schiffsgeschwindigkeit hinzu kommen. Ausserdem flattern die Segel bald, wenn man Schoten fiert. Am wenigsten vom Wind spürt man auf räumlichen Kursen wegen der Schifffahrt mit dem Wind; auf letzteren sei man auf der Hut vor Patenthalsen, insb. bei drehenden Winden, starken Böen (der scheinbare Wind dreht) und Wellen.
So. Nachdem die Situation also unter Kontrolle ist, kann man sich stressfrei an die weiteren, möglichen Massnahmen erinnern (wenn man diese nicht schon proaktiv im Hafen erledigt hat). Didaktisch bewährt es sich nicht, eine lange Liste von Handgriffen aufzuschreiben. Effektiver ist das Konzeptionelle zu erläutern, so dass das Ziel klar ist. Die Menu-Karte:
- Reffen kann man immer. Und das Grosssegel weit ausfahren. Wenn das Grosssegel so weit ausgefahren werden muss, dass es zu flattern beginnt, steht das nächste Reff an. Bis das Gross ganz weg ist.
- Wenn wir das Achterliek entlasten, kann der Wind das Segel in seine Richtung ausdrehen. Damit “sieht” der Wind eine kleinere, noch wirksame Segelfläche. Und dank dem, dass sich die Segel nach oben hin mehr ausdrehen (weil die wirksamen Seile unten am Segel ansetzen), nimmt genau die Segelfläche ab, welche die grösste Hebelwirkung zur Kränung hat. Das ist das Grossartige: Zwei wesentiche, signifikante Wirkungen resultieren. Wegen dieser Trimmmöglichkeit wird die J70 standardsmässig ohne Reff ausgeliefert – dieses Wissen wird vorausgesetzt.
- Am Wind Böen ausluven: Sobald eine Böe kommt, segelt man höher. Der scheinbare Wind dreht nämlich günstig, so dass man höher segeln muss, weil sonst der Wind in zu straff gehaltenen Segeln noch mehr drückt. Man kann auch übertrieben hoch fahren, um die ausgedrehten Flächen der Fock noch mehr aus dem Wind zu nehmen. Mit dem Ausklang der Böe wieder (scheinbar) abfallen, sonst beginnt die Fock zu flattern.
Reffen lernt man; pro Schiff ist das Vorgehen dokumentiert.
Wie ‘twisten’, die Segel ausdrehen, wissen nicht alle (nach der Erklärung der Handgriffe folgt die Eselsbrücke):
- Fock: Wenn wir den Holepunkt der Fockschot (Rolle) auf seiner Schiene nach achtern verschieben, hat die Schot einen flacheren Winkel: Mehr Zug am Unterliek, weniger am Schothorn bzw. am Achterliek nach unten. Prima: Mit dem Unterliek wird der untere Teil des Segels flach gezogen, das entlastete Achterliek kann dem Wind nachgeben, was das Segel ausdreht. Schiebt den Schlitten nicht gleich ganz nach hinten, denn ein extrem ausgedrehtes Segel hat ein so lockeres Achterliek, dass es flattert.
- Der Twist-Trimm für das Grosssegel:
- Grundsätzlich ist der Baum-Niederholer zuständig: Wenn gelöst, steigt der Baum, was das Achterliek entlastet.
- Für Freaks: Wenn das nicht reicht, kann man den Traveller etwas nach luv bewegen, in Windrichtung, so dass die Grossschott (wie bei der Fock) einen flacheren Winkel hat, was das Achterliek zusätzlich entspannt.
- Falls das Vorstag nicht bis zum Masttop reicht: Zieht man am Achterstag, ist das dreifach zielführend: Der Mast wird zu einer Banane nach achtern gekrümmt. In der Segelmitte zieht die Banane das Gross flach; tipptopp. Im oberen Bereich ragt der Mast weiter nach achtern, zum Achterliek hin, so dass letzteres wie gewünscht weniger gespannt ist. Indem sich der obere Teil des Segels nun mehr ausdrehen kann, setzt sich die Drehung nach unten fort; sehr gut. Der dritte Vorteil ist ein strafferes Vorstag, welches die Fock flacher trimmt; dieser Punkt trifft auch zu, wenn das Vorstag am Masttop fixiert ist.
- Schliesslich kann der untere Teil des Segels noch flach gezogen werden. Das erledigt ein straffer gezogener Unterliekstrecker (das Seil, das meist aus dem Grossbaum durch eine Kammklemme durch eine Rolle nach unten hängt); nicht übertreiben bitten, denn ein ganz flaches Segel erzeugt keinen Vortrieb mehr.
- Grundsätzlich ist der Baum-Niederholer zuständig: Wenn gelöst, steigt der Baum, was das Achterliek entlastet.
Wer lieber eine Anleitung mag als das physikalische Verständnis: Niederholer, evt. Traveller, Achterstag, Unterliekstrecker. Oder meine Eselsbrücke für euch:”NIEDER-TRA-ACHT ist UNTER_LIEbe.“
Was man sonst noch wissen sollte:
- Fock und Gross werden in gleichem Masse getwistet. Falls die Fock zu dicht ist und zu wenig Twist hat, entsteht im weit ausgefierten Gross ein Gegenbauch zum Wind, aus der Abluft aus der Fock. Der Gegenbauch stört nicht; er reduziert sogar die wirksame Segelfläche etwas mehr. Aber Puristen finden ihn unschön, da vermeidbar.
- Wenn man die Fock einrollen möchte, geht man gemäss Schulbuch auf achterlichen Kurs. Man rollt ein, während man gleichzeitig mit einer Schott gegenhält, damit die Fock dicht genug gerollt wird, trotz des Zugs des Windes. Denkt unbedingt daran den Schlitten, mit dem Holepunkt für die Fockschott vor dem Einrollen ein gutes Stück nach vorne zu verschieben. Damit wird das Achterliek straff eingerollt, so dass der Wind nicht oberhalb von bereits eingerolltem Tuch Windsäcke bilden kann; diese flattern, stören beim Manövrieren und beschädigen das Segel.
- Üben, üben, üben: Zuerst bei wenig Wind entspannt ausprobieren. Kontrollieren, ob alles passt. Natürlich reicht der Baumniederholer bei 2 Bf nur für etwas Twist; wenn man aber hinter den Baum steht, um die Kurve des Achterlieks zu betrachten, sieht man diese schon deutlich. Hebt man den Baum von Hand an, kann man das Verhalten bei viel Wind simulieren. Als nun überzeugter ‘Twist’-Kundiger darf man sich an 3 und mehr Beauforts wagen, Schritt für Schritt.
- Nach dem Segeln das Achterstag entspannen!
Ich wünsche euch viel Freude mit eurer Familie, Freunden oder Bekannten. Es ist wie beim Drachen steigen lassen: Mit richtig Wind läuft es besser!
P.S: Starkwindkurse schreibe ich wieder aus.